Quelle: Verhörsprotokolle der Hft Pöggstall
Am 29. Juni 1687 geht Thomas Auer, ein Familienvater und Inwohner zu Pertolz mit Michael Schreckenfux Holzhacken. Es ist ein heißer Sommertag, die beiden Männer arbeiten seit dem Morgen in der Nähe des Kressenbacher Teichs südlich von Pöggstall.
Schreckenfux schildert die kommenden Ereignisse ausführlich und gewissenhaft:
An jenem Samstag zwischen 9 und 10 Uhr begann Thomas Auer mir „absonderlichen Geschrey“, steckte sich zwei Finger in den Mund und riß sich an den Haaren. Thomas lief zum herrschaftlichen Kressenbach Teich und stürzte sich sogleich ins mannstiefe Wasser.
Schreckenfux eilte ihm nach und versuchte den Mann zu fassen, er griff nach dessen „Hemmet“ aber Thomas wehrte sich nach Kräften, er war zu stark und der Retter fürchtete selbst zu ertrinken „Jesus Maria wir ersaufen alle beide!“ rief er noch, dann gelang es ihm, sich zu befreien und Thomas Auer „habe verzweifelterweis sein Leben geendet und sei zu Boden gesunken“.
Ein weiterer Holzhacker welcher in der Nähe war, lief wegen der schrecklichen Schreie sogleich herbei und bestätigte später die Aussage des Schreckenfux.

Nachdem aufgrund der Aussagen das Gericht, welches sofort alle Beteiligten verhörte, einen „Selbstmord“ vermutete, wurde weiter geforscht. Die Ehefrau des Verblichenen gab zu Protokoll, ihr Mann habe „niemals nicht die geringste Zeit ihres Lebens derartige Gedanken gehegt. Vor 17 Jahren habe er während einer Krankheit für 3 Tage den Verstand verloren, sei aber wieder zu sich gekommen und seither nichts dergleichen vorgefallen“.
Der „Gespan“ des Thomas Auer, Michael Schreckenfux, beteuert an Eides statt, er habe nie Zeichen eines „aberwitzigen Verstandes“ bemerkt und Thomas habe sich zuvor nicht ungewöhnlich verhalten.

Die Obrigkeit kommt zu folgendem (eigenartigen) Schluß:
Weillen dann aus diesen allen nit anderst zu erkennen dass der Thomas Auer von Gott abgewichen und dem obgesagten der Böse Feind in seinen Rachen gefahren damit also Gott und dem Gericht ein Vollzug beschehen, ist dieser Körper von dem hiesigen Landgericht durch dessen Diener Hans Perr und Abdecker in Ermangelung des Scharfrichters auf einem Hundschlager Karren geschleift und in einem Morast vertilget worden.
Pöggstall den 6. Juli 1687
In weiterer Folge muß die ohnehin nahezu mittellose Witwe, welche auch zwei halbwüchsige Söhne zu versorgen hat, für alle entstandenen Unkosten aufkommen, 8 Gulden bezahlen für den Abdecker und Gerichtsschreiber etc. Der Familie werden „gnadenhalber“ 7 Gulden vom gesamt geschätzten Besitz des Entleibten (15 Fl) belassen, obwohl eigentlich im Falle eines solch schwerwiegenden Verbrechens zwei Drittel des Besitzes einbehalten werden sollten. Ein christliches Begräbnis in geweihter Erde blieb dem Thomas Auer verwehrt, er sollte für immer verdammt sein.

Aufgrund der lebendigen Schilderung der Geschehnisse würde Miss Marple allerdings vermuten, der nachmals Verstorbene könnte einen Trunk aus dem Mostkrug, welchen die Männer gewiß bei sich hatten, genommen haben und eine Wespe oder ähnliches verschluckt haben, was eine derart panische Reaktion hervorrief.
Solche Vorkommnisse dürften wie ich meine nicht unbekannt gewesen sein, warum hier „der böse Feind“ ins Spiel kam kann wohl nur mit der zu jener Zeit herrschenden Furcht vor demselben zu tun gehabt haben.
Weitere Thesen sind willkommen!
freundliche Grüsse
MM

Wäre es möglich, dass er sich die Finger abgehackt hatte? - Aber dann würde er wahrscheinlich nicht ins Wasser laufen.

Also die Wespe erscheint mir ja noch irgendwie als logisch - aber das Urteil des Gerichts verstehe ich nun überhaupt nicht.

Wir haben ja schon öfter über Selbstmörder gesprochen, die trotzallem ein ordentliches Begräbnis erhielten, eben weil sie für ihre Tat nicht verantwortlich gemacht werden konnten (bei schwerer Krankheit z.B.).

Hier hätte ich eher erwartet, daß Besessenheit - sprich dämonischer Einfluss - auch als solche Entschuldigung angenommen wird. Mich würde schon interessieren, wie man zu dem Schluss kam der Auer sei "von Gott abgewichen". Auf Hexerei oder einen liderlichen Lebenswandel gibt die Schilderung ja nun erstmal keinen Hinweis.

Ich vermute (nicht viel anders als heute), dass die Obrigkeit sich die Version aussuchte, wo sie das meiste verdienen, und der Bevölkerung die meiste Angst machen konnte.

Tolle Geschichte!

Walter

Das Gerichtsurteil ist auch mir gänzlich unerklärlich. Der arme Mann hatte nichts, war ein Niemand. Er lebte unauffällig, es gibt keinerlei dokumentierte üble Vorkommnisse ihn betreffend.
Persönlich neige ich zu Walters Vermutung. Es gibt ein bemerkenswertes Zitat von Norbert Elias:
"Die Bewirtschaftung menschlicher Ängste ist die Quelle höchster Macht"
da ist was dran, findet
Miss Marple

Mich befriedigt da auch keine Erklärung. Die 8 fl scheinen mir zu wenig für das Interesse des Gerichts, mit dieser Motivation hätte man auch die ganze zustehende Summe von 10fl einkassiert. Und inwiefern werden die Ängste (deren sich die Mächtigen bekanntermaßen bis heute bedienen) hier "bewirtschaftet"? Es gibt ja in diesem Fall gerade keine Möglichkeit, durch Gehorsam oder was auch immer, einem solchen Urteil zu entgehen.

Im Sinne der Verteidigung war es vielleicht nicht so geschickt, die geistige Gesundheit des Verstorbenen derart zu betonen, weil wenn er nicht geisteskrank gewesen ist, dann muss er wohl besessen gewesen sein.

Pascal zitiert wohl meine Antwort auf einen Fall von Besessenheit, den er einmal angeführt hat. Die (uns unbegründet erscheinende) Begründung hier lautet aber, Thomas Auer sei (wie es scheint erst kürzlich) "von Gott abgewichen" und so selbst schuld, dass der Teufel in ihn gefahren ist.

Bezüglich der Wespe weiß ich nicht, wie genau der Hergang geschildert wurde und mir fehlen die medizinischen Grundlagen. Hätte er nicht Zeit gehabt, noch zu sagen, was passiert ist? Und warum stürzt er sich in den Teich, wenn ihn eine Wespe in den Hals sticht? Würde man beim Toten eine Schwellung oder ähnliches erkennen können?

Fragen über Fragen, aber wenn nicht einmal Miss Marple den Fall sicher zu lösen weiß!

Robert.

Ende 17 Jahrhundert glaube ich bekamen die Selbstmörder noch keine geweihte Erde - das kommt erst später. Damals war die Angst vom Bösen wirklich noch zu groß - sieht man ja eh bei Miss Marples Geschichten. Sogar ein offensichtlich schwer Kranker wird 3mal kontrolliert, ob er nicht ev doch ...

ich habe lang studiert, was die Ursache war für den Anfall und ich glaube die Wespe erklärts am Besten

... Und inwiefern werden die Ängste (deren sich die Mächtigen bekanntermaßen bis heute bedienen) hier "bewirtschaftet" ...?

z.B.: die Angst, aus der Norm zu fallen und dadurch mit Sanktionen, finanziellen Einbussen, ... rechnen zu müssen, ...

Zur Ursache, da dies dem armen Mann ja vorher schon einmal passiert ist, würde ich Epilepsie vermuten.

lg Walter

"3 Tage während einer Krankheit den Verstand verloren" hört sich eher nach sehr hohem Fieber mit Phantasieren an als Epilepsie - mit der Fallkrankheit kannte man sich ja doch aus

... Und inwiefern werden die Ängste (deren sich die Mächtigen bekanntermaßen bis heute bedienen) hier "bewirtschaftet" ...?

Wenn man sieht, wie leicht ein (mehr oder weniger) frommer Mensch vom Teufel in Besitz genommen werden kann, hilft nur: noch mehr beten, mehr in die Kirche gehen, mehr Spenden und weniger sündigen (nicht mehr schummeln beim Zehent oder der Inventur, keine Krebse mehr aus dem Herrschaftsbach stehlen, ...)

lg Walter