Liebe Forschergemeinde, liebe Römer,

ich ersuche um Lesehilfe des lateinischen Textes. Es handelt sich um meinen 7-fachen Urgroßvater, der (evangelisch) im katholischen Herbolzheim (Breisgau, Vorderösterreich, heute Deutschland) am 1.2.1690 geheiratet hat. (Herbolzheim, Trauungsbuch 1, fol. 524), leider im Internet nicht gefunden.


5ertl1.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Was ich bis jetzt entziffert habe:

Joannes Jacobus Örtlin juveniß. Lutheranusp.t. ad ?aretius ex im filius
Joannis Conradi Örtlin vinitoris etiam lutherian., motui filia on?adus ex Lemberg
Wittenbergia im petrata licentia ab Adm. R. ST?. ?anick Mixel? Vica=
riatus Grlis?(Orlis?) Argentus? trans ?hen? Vies? Generata? Sen ?? ??ituto ac p. st.
Reitae? In Hoffweye, stata 31. Janß 1690, fti?pulata mana locorum
Ramerti provi??, remperata pace et ?areditate sua Catholica religion
abiurata karesi? Sua amplecti relit. Sponsalia futaro Matrimonium
cum honesta Martha Anna Kauffmännin (Herbolzheim?) quo paritec licentiam
im petravit aRmo ST?. Lamb. A Laer. P. t. Vicario Grli?? ?tamisus?
marito suo per plures ? autus annos continua intagatione prae?um ????
ac probabiliter gravius omo bekoru? Tempore rel a militibus aut ab a ????
in Herciria Sglva pertranscundo, ouicho?, ad alia vota migrare possit,
in prasentia testium Joannis Jacobi Florian, Jacobi Wagenman et
Catherina Bisching celebravit de presenti voro inacti 6. Febr. 90

liebe Grüße Walter

Lieber Walter,
ich lese:

Joannes Jacobus Örtlin juveniß. Lutheranus p(ro).t(empore). adhuc haereticus (gestrichenener Text: ex im) filius
Joannis Conradi Örtlin vinitoris etiam lutheran., mortui filius oriundus ex Lemberg
Wittenbergiae impetrata licentia ab Adm. R. D. Daniele Mexel Vica=
riatus Gr’tis Argentus trans rhenu ?lies genita sen substiituto ac p. t.
Rectore in Hoffweye(r), data 31. Jan. 1690, stipulata mana locorum
ramenti provisus, gestrichen: quod remperata pace et haereditate sua Catholica religionem
abiurata haeresi Sua amplecti relit. Sponsalia pro futuro Matrimonium
cum honesta Martha Anna Kauffmännin Herbolens. quae pariter licentiam
impetravit a Rmo D. Lamb. a Laer p. t. Vicario Grt. Ut proviso
marito suo per plures 8 antq annos continua intagatione facta(?) praesumptus
ac probabiliter gravissimo ??? tempore vel a militibus aut ab a rustici
in Hercinria Sylva pertransendo, omnibus(?), ad alia vota migrare possit,
in prasentia testium Joannis (könnte es heißen, aber das J käme dann arg verkümmert daher; ein B ist es aber auch nicht) Jacobi Florian, Jacobi Wagenman et
Catherina Bischungin celebravit de praesenti vero inacti(?) 6. Febr. 90

Es grüßt ein Häretiker

amplecti velit

Hercinia Sylva (heute: Hercynia Silva)
Man merkt, dass Lambert von Laer zehn Jahre zuvor (=1680) als Buchautor in Erscheinung trat.

substiituto ac(ce)pt(it).

Vielen Dank daß sich überhaupt jemand gemeldet hat, aber ich versteh nur Bahnhof

Da ich leider kein Latein kann, kann ich außer den Namen praktisch nichts lesen.

lg walter

Lieber Walter!

Spät, aber doch, möchte ich – auf Hans-Martin Holleitners nur ganz geringfügig geänderter Textwiedergabe aufbauend (vielen Dank für diese zeitaufwändige und äußerst hilfreiche Arbeit!) – versuchen, ein paar Stellen der Eintragung auf Deutsch wiederzugeben, auch wenn ich zugeben muss, dass viele Fragen offen bleiben und meine Wiedergabe zum Teil ein jämmerliches Gestammel ist. In manchen Zeilen (z.B. 4) kann ich nur die Bedeutung einzelner Wörter erahnen, einige Wörter habe ich sogar in der ursprünglichen Form belassen. An manchen Stellen sind die Konstruktionen für mich nicht ganz zu durchschauen - und vielleicht auch gar nicht korrekt. So scheint auch jemand anderer in der letzten Zeile den unvollständigen Satz, der in der 7. Zeile mit „Sponsalia“ beginnt, nachträglich vollendet zu haben.
Wenn jemand von den Lesern/Leserinnen den ganzen Text oder auch nur einzelne Stellen davon besser versteht und übersetzen kann als ich, dann bin ich ihm/ihr dankbar für eine Korrektur meines Übersetzungsversuches. Bitte auch gegen sonstige Irrtümer und Denkfehler Einspruch erheben!

Lateinischer Text:
1 Joannes Jacobus Örtlin juvenis. Lutheranus ac p(ro).t(empore). adhuc haereticus (gestrichenener Text: ex im) filius
2 Joannis Conradi Örtlin vinitoris etiam lutherani mortui filius oriundus ex Lemberg
3 Wittenbergiae impetrata licentia ab Adm. R. D. Daniele Mixel Vica=
4 riatus Gr’lis Argentus trans Rhenum Vices gerentes sen(?) substituto ac p. t.
5 Rectore in Hoffweye(r), data 31. Jan. 1690, stipulata manu loco iu=
6 ramenti promisit, quod recuperata pace et haereditate sua Catholicam religionem
7 abiurata haeresi sua amplecti velit. Sponsalia pro futuro Matrimonio
8 cum honesta Martha Anna Kauffmännin Herbolzalis(?). quae pariter licentiam
9 impetravit a Rmo D. Lamb. a Laer p. t. Vicario Grlied(?) ut amisso
10 marito suo per plures 8 aut 9 annos continua intagatione facta(?) praesumptu?
11ac probabiliter gravissimo bekorum(?) tempore vel a militibus aut (gestrichen: ab) a rusticis
12 in Hercinia Sylva pertranseundo, occiso, ad alia vota migrare possit,
13 in prasentia testium bannis(?) Jacobi Florian, Jacobi Wagenman et
14 Catherinae Bischungin celebravit de praesenti vero inacti(?) 6. Febr. 90

„Freie Übersetzung“:
Z. 1: Johannes Jacobus Örtlin, derzeit ein lutherischer Jüngling, bisher ein häretischer Sohn
Z. 2:des Johannes Conrad Örtlin, eines Weinbauern, ebenfalls lutherisch und schon verstorben, der Sohn stammt aus Lemberg
Z. 3: in Wittenberg (oder aus dem Wittenbergischen Lemberg). Er erhielt die Erlaubnis vom Adm. R. D. Daniel Mixel, Vica=
Z. 4: riatu Gr’lis Argente (oder Regente?), „trans Rhenum“ = jenseits des Rheins, „Vices gerentes“ = event. „Stellvertreter“, „substituto“ hat mit „helfen, unterstützen“zu tun, und derzeit
Z. 5: Rektor in Hoffweye, gegeben am 31. Jänner 1690, mit Handschlag am Ort des
Z. 6: Eides versprach er, dass er, nachdem er den Frieden und sein Erbe wiedererlangt habe, indem er der katholischen Religion
Z. 7: abgeschworen habe, seine (neue) Lehre umarmen wolle (?). Die Verlobung für die künftige Trauung
Z. 8: mit der ehrsamen Martha Anna Kauffmännin aus Herbolz, die gleichermaßen die Erlaubnis
Z. 9: durchsetzte vom Rmo B (oderP.) Lamb. a Laer, derzeit Vikar Grlied. , dass/weil sie, nachdem sie
Z. 10: ihren Mann verloren hatte, durch mehrere Jahre, 8 oder 9 Jahre, fortgesetzte Nachforschungen angestellt hatte (???),
Z. 11: und der wahrscheinlich durch die sehr schwere bekorum (???) Zeit oder von den Soldaten oder von den Bauern,
Z. 12: im Hercinischen Wald beim Durchqueren/Überqueren getötet worden ist, zu einer anderen Ehe schreiten kann,
Z. 13: in Gegenwart der Zeugen bannis (???) Jacobus Florian, Jacobus Wagenman und
Z. 14: Katharina Bischungin (?) feierte er de praesenti vero inacti (eventuell: „derzeit aber noch nicht gültig“)
am 6. Februar 90.

Zusammenfassung:
Im 1. Teil (Z. 1 – 7) geht es jedenfalls um den Bräutigam Johann Jakob Örtlin, der nun Lutheraner ist, bisher (aus der Sicht des Schreibers) ein Häretiker war. Dass er als „iuvenis“ bezeichnet wird, deutet darauf hin, dass er ledig war. Als sein Herkunftsort wird Lemberg genannt, das in einem Zusammenhang mit der folgenden Ortsbezeichnung „Wittenbergiae“ zu stehen scheint.
Der Vater Johann Konrad Örtlin ist bereits verstorben. Er war (ebenfalls) Lutheraner und von Beruf Weinbauer.
In den Zeilen 3 – 5 wird offenbar gesagt, von wem bzw. wo er die Erlaubnis/Bewilligung bekommen hat. Aus den Zeilen 5 – 7 schließe ich, dass er am 31. Jänner 1690 mit Handschlag dem katholischen Glauben am Ort der Verhandlung abschwören musste. Die Worte vom wiedererlangten Erbe könnten sich meiner Meinung nach auf den evangelischen Glauben beziehen (sein Vater war ja Lutheraner).

Im 2. Teil (Z. 7 – 14) steht die Erlaubnis/Bewilligung für die Braut Martha Anna Kaufmann aus Herbolzheim im Mittelpunkt.
In der Z. 9 wird die Persönlichkeit genannt, die die Lizenz erteilte. Aus den Zeilen 10 – 12 geht meiner Meinung nach hervor, dass Martha eine Erlaubnis benötigte, weil sie bereits verheiratet war. Doch ihr Mann war bereits seit 8 oder 9 Jahren vermisst und sie hatte beharrlich Nachforschungen angestellt. Wahrscheinlich war er beim Überqueren oder Durchqueren des Herkynischen Waldes getötet worden. Er wurde gewissermaßen für tot erklärt, und seine Witwe erhielt die Heiratserlaubnis.
In der Z. 14 wird meiner Meinung nach erst der Satz vollendet, der in der Zeile 7 begonnen hat: Die Verlobung ….feierte er …am 6. Februar 1690.

Drei Anmerkungen zu Ortsnamen:
1) Theoretisch könnte mit „Lemberg“ jene Stadt gemeint sein, die heute in der Ukraine liegt (früher Polen, vorher Galizien).
Die damit in Verbindung stehende Ortsangabe in der 2. Zeile ergibt allerdings keinen Sinn.
2) Das Wort „Wittenbergiae“ gibt ebenfalls Rätsel auf. Die Stadt Wittenberg ist über 500 km (Luftlinie) von Herbolzheim entfernt und steht in keinem Zusammenhang mit einem Lemberg, wie es die Endung eigentlich andeutet. Ich habe schon daran gedacht, ob nicht eigentlich „Wirtenbergiae“ gemeint ist. Ein Schreibfehler scheint ja vorzuliegen.
Ein „Württembergisches“ Lemberg, das mich überzeugt, habe ich allerdings nicht gefunden:
Lemberg, Ortsteil der Gemeinde Michelfeld, Landkreis Schwäbisch Hall, Baden-Württemberg, ist heute kaum auf einer Karte zu finden und sollte damals so groß gewesen sein, dass es als Herkunftsort genannt wird?
Es gibt Berge in Baden-Württemberg, die „Lemberg“ heißen (Schwäbische Alb bzw. Affalterbach), aber keine gleichnamigen Orte in diesen Gegenden.
Es gibt ein Lemberg, eine Gemeinde im Landkreis Südwestpfalz, Rheinland-Pfalz, allerdings finde ich da keinen Bezug zu Württemberg.
Beim Sichten der alten Karten aus dem 17. Jahrhundert ist mir allerdings ein Ortsname aufgefallen, der zuerst wie „Lemberg“ ausgesehen hat und sich dann als „Leonberg“ entpuppt hat (ca. 13 km westlich von Stuttgart). Ich möchte Dich, Walter, keinesfalls auf eine falsche Fährte locken, aber man könnte eventuell in Betracht ziehen, dass es sich um einen Verständnisfehler oder einen Schreibfehler handeln könnte. Die Entfernung Herbolzheim – Leonberg beträgt immerhin mehr als 150 km. Der Schreiber muss Leonberg nicht unbedingt gekannt haben.

3) Laut Wikipedia ist der „Herkynische Wald“ die antike Sammelbezeichnung für die nördlich der Donau gelegenen Mittelgebirge östlich des Rheins

Ich hoffe, dass zumindest einige interessante bzw. brauchbare Details für Dich dabei sind und ich nicht zu viele Fehler gemacht habe.

Herzliche Grüße

Günter

Lieber Hans Martin,

nochmals vielen Dank für die Übersetzung.

Lieber Günter!

Vielen vielen Dank für für deine ausführlichen Antworten.

Einige Dinge hatte ich mir schon zusammenreimen können, wie die Herkunft des Bräutigams aus Lemberg. Im "nahen" Lemberg hatte ich schon vor Jahren nichts gefunden, das Lemberg in Polen? (Lvov?) war mir irgendwie zuweit. In "deinem" Leonberg (auf das wäre ich selbst nie gekommen) habe ich über familysearch die Namen bereits herausgefunden. Sie passen zwar noch nicht 100%ig, aber ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.

Der Hinweis, daß die Braut bereits verheiratet war und alle weiteren hochinteressanten Details wären mir verborgen geblieben.

Jedenfalls hat mir eure Antwort Mut gemacht, wieder in dieser Richtung weiterzumachen.

Nochmals herzlichen Dank aus Wolkersdorf!

LG Walter